Wann hast Du zum ersten Mal die Zone erlebt?
Ich glaube, es gibt sowas wie die tiefe und die weniger tiefe Zone. Die weniger tiefe habe ich das erste Mal mit zehn erlebt. Die tiefe Zone, als ich mit 15 meine erste 9a+ geklettert bin: La Rambla in Spanien.
Wovon hängt ab, ob Du beim Klettern in die Zone gelangst?
Je härter die Route, desto eher kommt man rein. Und nur dann hat man auch eine Chance, solche Routen am absoluten Limit zu klettern. Gleichzeitig wirkt der Druck, es unbedingt schaffen zu wollen, dem entgegen.
Wie bist Du bei Silence damit umgegangen?
Irgendwann wusste ich, dass ich es schaffen werde. Aber auch, dass ich dafür einen perfekten Tag brauche. Dann kam dieser Tag. Gleichzeitig war mir klar, dass ich nur einen Versuch habe, dass ich zu hundert Prozent perfekt klettern muss. Und dass die Chance vorbei ist, wenn ich falle und dass ich dann wieder auf einen solchen Tag warten muss. Trotzdem war ich einigermaßen relaxt, hatte - anders als am Vortag, wo ich mich stärker gefühlt hatte - keine übergroßen Erwartungen. Das hat mir wahrscheinlich geholfen, so gut zu klettern.
Unterhältst Du Dich mit anderen Kletterern über die Zone?
Manchmal. Ich glaube, dass nur die besten Kletterer das so erleben. Chris Sharma zum Beispiel. Er ist richtig gut darin, in die Zone zu klettern. Aber das Phänomen an sich gibt es nicht nur bei Kletterern: Jeder, der etwas sehr, sehr gut beherrscht und sich am Limit seines Könnens bewegt, kann in die Zone gelangen.
Auch in der Musik. Große Jazz-Musiker etwa beim Improvisieren.
Ein gutes Beispiel. Das Improvisieren gibt es übrigens auch beim Klettern: Beim On-Sighting zum Beispiel, wenn man eine Route klettert, ohne sie vorher ausprobiert zu haben. Und bei Wettkämpfen. Da improvisiert man viel mehr, als wenn man eine Route wie Silence jahrelang auscheckt. Beides ist so ähnlich wie ein Tanz: Bei Silence mit einer sehr exakten Choreographie, beim On-Sighting mehr wie eine Improvisation. Bei beidem kommt es darauf an, das perfekte Tempo und den richtigen Rhythmus zu finden.
Bist Du perfekt geklettert, als Du Silence geschafft hast?
Bis zum Ende der ersten Schlüsselstelle: Ja. Da bin ich so gut geklettert wie es möglich ist. Weiter oben, in der dritten und letzten Schlüsselstelle ist mir ein kleiner Fehler passiert.
Als Du mit dem Fuß vom Fels abgerutscht bist?
Ja. Genau nach dem Move, vor dem ich Angst hatte.
War es gut, dass das so weit oben passiert ist? Weil sich der Fehler dann nicht dominoartig fortpflanzen konnte….
Sicher. Da oben hatte ich, anders als weiter unten, einen kleinen Puffer und zwei gute Griffe. Also konnte ich den Fuß wieder an den Fels bringen.
Wie sah Dein Mentaltraining für Silence aus?
Am wichtigsten war das Visualisieren. Am Fels habe ich die Route 250 bis 300 Mal probiert. In meinem Kopf bin ich sie 10.000 Mal geklettert. Je mehr ich sie in meinem Kopf hatte, desto präziser konnte ich klettern.
Könntest Du Silence morgen wiederholen?
Jetzt? No way! Dafür müsste ich wieder speziell trainieren. Sicher nicht vier Jahre lang, aber wohl doch ein paar Wochen.
Freust Du Dich, wenn jemand Silence wiederholt?
Und wie! Leider sieht es bis jetzt so aus, als ob jeder noch zu viel Respekt davor hätte. Ich hoffe sehr, dass sich das bald ändert. Was die 9c angeht, glaube ich, dass Alex Megos aus Erlangen sie draufhat. Vielleicht nicht mit Silence, weil das vom Stil her eine ziemliche Ondra-Route ist: die großen Abstände, die Drop-Moves, die Flexibilität. Eine Alex-Megos-9c wäre eher was mit ganz kleinen Pockets.
Das mit dem Schwierigkeitsgrad ist eine komplizierte Sache: Du kletterst eine Route, die Du Dir vorgenommen hast und an der Du dann vier Jahre trainiert hast. Du kategorisierst sie als 9c, aber weil noch niemand sonst sie geklettert ist, fehlt erst einmal die Bestätigung dafür.
Die Schwierigkeitsgrade haben immer was Subjektives – besonders am Anfang, wenn niemand sonst diese Route geklettert ist. Aber ich habe lange darüber nachgedacht, ob es 9c ist.
Was spricht dafür?
Dass sich Silence so viel schwerer anfühlt als alles, was ich bis dahin geklettert bin. Dass ich so verdammt lang dafür gebraucht habe. Und dass ich wahrscheinlich in der Form meines Lebens war, als ich Silence geklettert bin. Wenn Silence nur etwas schwerer als bisherige Routen gewesen wäre, hätte ich gesagt: das ist eine 9b+. Zwischen den Schwierigkeitsgraden muss genügend Abstand sein – sonst ergibt das alles keinen Sinn. Objektiver wird das Ganze natürlich erst, wenn jemand anderer Silence klettert und meine Einordnung bestätigt. Ich kann mich täuschen. Vielleicht kommt jemand daher, der Silence nach viel kürzerer Zeit schafft als ich und dann sagt: Hey, das ist nur eine 9b! Das wäre peinlich für mich. LACHT. Aber ich glaube nicht, dass das passieren wird.
Viele halten Adam Ondra für den besten Kletterer der Welt. Bist Du darauf stolz?
Ich versuche, nicht oft daran zu denken. Die Frage ist auch, wie man das misst: der ‚beste‘ Kletterer. Klettern ist vielseitiger denn je. Auch motivational ist das nicht besonders klug: Wer unbedingt der beste Kletterer sein will, es aber eines Tages nicht mehr ist, riskiert, in ein großes Loch zu fallen. Es ist viel besser, sich über selbst gesteckte Ziele zu motivieren. Wenn dann als Nebenprodukt herauskommt, dass ich es bin, der die schwersten Routen klettert, dann ist das schön. Aber nicht meine Hauptmotivation.