IFALP-Treffen 2023
Fast vier Jahre liegt unser Skitourentreffen im Langtauferertal nun zurück, aus dem unter anderem eine Initiative für eine alpenweit einheitliche Lawinenprognose (IFALP) hervorgegangen ist. Was als Diskussion unter Skitouren- und Lawinenkundeinteressierten Freunden begann, hat überraschend viel Resonanz in diversen Medien erfahren und vermutlich auch ihren Teil dazu beigetragen, dass sich in den letzten Jahren einige erfreuliche Veränderungen bei der Erstellung und Präsentation der Lawinenbulletins ergeben haben. Das zweite "Nebenprodukt" dieses Skitourenwochenendes ist eine Lawinengruppe auf Facebook, die man sich als "Wurzelgeflecht" unseres IFALP-Pflänzchens hinein in die Wintersportler-Community vorstellen kann.
Nach einem sehr abgespeckten Treffen 2022 wurde es mal wieder Zeit, das wir uns alle zusammen auf Skitour begeben. Der Ort des Geschehens lag nahe am Brenner - im Obernberger Tal. Im letzten Jahr hatte ich bei einem genialen Skitourenwochenende zum Gschnitzer Tribulaun und zum Habicht "Almis Berghotel" als ausgezeichnete Unterkunft kennengelernt. Obwohl wir sehr kurzfristig und mit vielen Sonderwünschen angefragt haben und das Hotel eigentlich ausgebucht war, hat uns die Chefin Burgi Almberger bestens untergebracht - auch dank einiger Absagen aufgrund der kritischen Lawinenlage. Auch dem Michi Düchs von der BR-Fernsehsendung Bergauf-Bergab (=> Mediathek-Link zum Beitrag!) hatte ich von dem Treffen erzählt und er hat sich kurzerhand mit seinem Filmteam auf den Weg gemacht um uns an zwei Tagen auf unseren Touren zu begleiten. So wurde in großer Runde unterwegs auf Tour und abends im Hotel eifrig diskutiert, wir haben Ideen gesponnen und gemeinsame Projekte ersonnen.
Was hat sich bei IFALP seit 2019 getan?
Zwei große "Wünsche" unserer Initiative IFALP sind inzwischen auf auf einem sehr guten Weg. Zum einen sind wir der Meinung dass sich die Lageberichte unbedingt auf einen einheitlichen Ausgabezeitpunkt verständigen sollten. Nachdem vor vier Jahren viele Lageberichte noch am Morgen des jeweiligen Tages erstellt wurden, publizieren inzwischen alle Alpenregionen ihre Bulletins am Vorabend. Das ist ein gewaltiger Fortschritt, da damit teils große organisatorische Umstellungen erforderlich waren. So kann die Lawinenlage bereits bei der Tourenplanung am Vorabend berücksichtigt werden. Aktuell unterscheiden sich aber noch die Ausgabezeitpunkte und liegen je nach Region zwischen 16 Uhr und 18 Uhr. Für die regelmäßigen Nutzer der Berichte, die sie über die jeweilige Website abrufen, ist das kein allzu großes Problem. Sie wissen in der Regel den Ausgabezeitpunkt, der zudem im Bericht erwähnt wird. Problematisch ist diese Praxis jedoch für nachgeschaltete Dienste wie Skitourenguru oder die beliebte App SnowSafe wo am Vorabend teils noch einen Tag alte Informationen zu finden sind, ohne dass dies für den Nutzer erkenntlich ist.
Das zweite "Feature", das unseren Vorstellungen zunehmend näher kommt, ist die einheitliche und regionsübergreifende Darstellung der Lawinenlageberichte. So werden in den Ostalpen inzwischen fast alle Lageberichte (Bundesländer Österreichs, Bayern, Norditalien) in einer relativ einheitlichen Oberfläche dargestellt, die in einer Übersichtskarte auch die Lawinenlage in den Nachbarregionen tagesaktuell darstellt. Mit Klick auf die Nachbarregion gelangt man dann auf deren Lawinenprognose. So sieht man auf den ersten Blick, wie es jenseits der Grenze der vorliegenden Warnregion aussieht und muss nicht erst über eine Suchmaschine deren Lagebericht recherchieren. Auch auf der Website der EAWS (Dachverband der europäischen Lawinenwarndienste) sollen die Lageberichte zukünftig tagesaktuell dynamisch und einheitlich dargestellt werden. Momentan gibt es hier für Italien noch ein (vermutlich eher politisches) Problem, da dort neben den Bulletins der AINEVA auch noch ein militärischer Lawinenlagebericht ausgegeben wird.
Es tut sich also einiges. Auch im Hintergrund passieren Dinge, die zuversichtlich stimmen können. Gerade innerhalb Österreichs, wo es 7 eigenständige Lawinenwarndienste mit extrem unterschiedlichen Ressourcen gibt, werden Synergien genutzt und Prozesse vereinheitlicht. Die Softwareplattform, die vom Albina-Projekt des Euregio-Reports (Tirol, Südtirol, Trentino) entwickelt wurde, ist in ähnlicher Weise nochmal in der Steiermark für die anderen Österreichischen Bundesländer programmiert worden. Diese beiden Plattformen werden inzwischen bereits von allen Warndiensten in Österreich, Bayern und der AINEVA (Italien) verwendet.
Wo sehen wir den größten Handlungsbedarf?
Trotzdem ist weiterhin Luft nach oben. Der große Alpenanteil Frankreichs bleibt bisher außen vor und ist nur über eine komplett anders gestaltete Website in ausschließlich französischer Sprache abrufbar. Die Anwendung der Informationspyramide wird weiterhin nicht einheitlich gehandhabt. Die Schweiz ist der Meinung, dass nach der Regel "vom Einfachen zum Komplizierten" die Angabe der Kernzone (Höhenlage und Exposition) direkt nach der Gefahrenstufe kommen soll. In Tirol (z.B.) hingegen stuft man die Lawinenprobleme wichtiger oder einfacher verständlich ein als die Kernzone und stellt diese daher nach oben. In Frankreich wird das Konzept der "Lawinenprobleme" überhaupt noch nicht verwendet. Eine brandneue Diskussion hat die Schweiz aufgeworfen und differenziert seit diesem Jahr bei Bedarf die Gefahrenstufen mit + und -. In den anderen Warndiensten wird diese Information - wenn überhaupt - mehr oder weniger verklausuliert im Text wiedergegeben. Darüberhinaus laufen weiterhin einige Prozesse in den verschiedenen Ländern unterschiedlich ab, was auch zu abweichenden Ergebnissen am Endprodukt (Lawinenprognose) führen kann. Da spielen zum Beispiel auch Themen wie die Gewinnung und Beurteilung von Ausgangsdaten eine Rolle. So existieren bei der Handhabung von Schneeprofilen verschiedene Systeme wie LAWIS, Ladok (geschlossenes System für Beobachter), SLF-Schneeprofile oder auch die noch recht neue LARA-App nebeneinander.
Die Facebookgruppe Lawinen
Über all diese Dinge wurde auf unserem IFALP-Treffen 2023 eifrig diskutiert. Unsere Diskussionen setzen sich teils in der Facebook-Gruppe "Lawinen" fort, die von einigen Mitgliedern unserer IFALP-Runde moderiert und administriert wird und auch mit diesem Hintergedanken im Winter 2019/2020 gegründet wurde. Inzwischen ist die Gruppe auf fast 20.000 Mitglieder angewachsen und wird nicht nur vom Fachpublikum wahrgenommen, sondern auch die Lawinenwarndienste lesen hier mit. Dem Moderatorenteam ist eine offene, konstruktive Atmosphäre wichtig, in der unterschiedliche Meinungen und besonders auch unterschiedliche Wissens- und Erfahrungslevel respektiert werden. Ein großes Problem in der Kommunikation und Ausbildung ist meiner Meinung nach das mangelnde Verständnis der "fachlichen Elite" (Lehrteams, Ausbilder, Bergführer, Lawinenwarndienste) für die Denkweise der großen Mehrheit der Wintersportler. Diese wollen vor allem eine gute Zeit in den Bergen haben wollen und kein Diplom in Schneephysik ablegen. Die allermeisten sind durchaus bereit, ihr Risikoverhalten anzupassen - aber die aktuelle Lehrmeinung der Lawinenkunde ist für die breite Basis der Community zu abgehoben und auch der Großteil der Kommunikation der Lawinenlageberichte wird für die "obersten 5 %" gemacht. Die restlichen 95 % bleiben an der Warnstufe hängen, wenn überhaupt. Daher sind meines Erachtens Ideen gefragt, wie man diese Trennlinie durchlässiger gestalten kann. Tools wie Skitourenguru können dazu einen Beitrag leisten, aber sie sind von der Qualität der Ausgangsdaten abhängig. Möglichst treffsichere Lawinenprognosen, die über alle Regionen nach einheitlichen Standards erstellt werden, halte ich daher für eine unabdingbare Voraussetzung.
Fazit des Treffens
Es waren vier tolle Tage mit inspirierenden Gesprächen, schönen Skitouren in herrlicher Winterlandschaft bei herausfordernder Lawinenlage. Die vielfältigen Ansichten und Hintergründe der einzelnen Gruppenmitglieder, die von gegenseitigem Respekt geprägt sind, schaffen eine Atmosphäre, wie sie in der digitalen Begegnung über Videocalls und vor allem über die sozialen Medien niemals zu Stande kommen würde. Wir hoffen, dass wir den Geist dieser Treffen auch in die Facebookgruppe hineintragen können, die trotz anfänglicher Bedenken, weiterhin von einem konstruktiven, wertschätzenden Austausch geprägt ist. Sie wird mit den aktuellsten (Blog-)Informationen der Lawinenwarndienste gefüllt, mit Infos zu guten Fortbildungsmöglichkeiten oder spannenden Informationen zum Thema Lawinen und Risikomanagement.
Die IFALP-Idee bekommt durch dieses Treffen ebenfalls neue Nahrung und wir vertrauen auf Michi Düchs und sein Team, dass unsere Intention in seinem Fernsehbeitrag authentisch wiedergegeben wird. Ihr könnt Euch am 26.2.2023 um 18.45 Uhr im Bayerischen Fernsehen in der Sendung Bergauf-Bergab oder dann parallel in der Mediathek ein eigenes Bild davon machen. Vielen Dank von meiner Seite nochmal an alle Teilnehmer des Treffens für die tollen Tage, für Eure Geduld bei den Filmarbeiten und an das Fernsehteam Michi, Tom, Peter und Thomas für Euren unermüdlichen Einsatz bei den nicht immer gemütlichen Bedingungen. Ein Dank muss aber auch an die vielen Mitarbeiter der Lawinenwarndienste gehen, die seit Jahren eine sehr gute Arbeit machen, von der wir alle enorm profitieren.
Bericht: Markus Stadler, Fotos: Markus Stadler und Christof Simon