Klettern in Umbrien


Planung und Anreise
Die späten Osterferien Mitte April und ein sehr schneearmer Winter sind ideale Voraussetzungen, um die Skitourensaison frühzeitig zu beenden und die Sommersaison mit einem zweiwöchigen Familien-Kletterurlaub im Süden einzuläuten. Das altbekannte Arco scheidet bereits in der Vorauswahl aus – im Rennen bleiben vorerst Ligurien mit Finale und dem Val Pennavaire, das Dreiländereck Italien-Slowenien-Kroatien mit dem Top-Gebiet Osp und unserem Osterziel vor zwei Jahren in Vipava sowie Ferentillo in Umbrien, unsere letztjährige Entdeckung im Pfingsturlaub. Im großen Familienrat inklusive Nachwuchs fällt die Entscheidung dann wieder auf Umbrien – mit vielen überzeugenden Argumenten: super Fels mit Routen in allen Schwierigkeiten, herzliche Atmosphäre am Campingplatz inklusive Babykätzchen, kein Andrang in den Klettergebieten und leckeres, preisgünstiges Essen. Außerdem war die Zeit im letzten Jahr viel zu kurz, um alle Klettergebiete und Sehenswürdigkeiten zu erkunden, die wir uns vorgenommen hatten. Am Tag vor der Abreise wird die Gebietsdiskussion zwar dann noch einmal neu angestoßen, angesichts angekündigter „katastrophaler Regenfälle” in Norditalien. Aber südlich der Toskana schaut es nicht ganz so schlimm aus und trotz suboptimaler Wetterprognosen machen wir uns am ersten Ferientag auf den langen Weg nach Mittelitalien.






Die ersten Tage
„Ciao, hello“, begrüßen uns Roberto und Rosy vom Agricampeggio Valneria River am frühen Abend nach einer übel langen Autofahrt. Die 9 Stunden Fahrzeit haben wir mit zwei Pausen auf 12 Stunden gestreckt. Entsprechend erleichtert sind wir, als wir unser Ziel endlich erreicht haben. Die Gastgeber reichen uns einen großen Teller gesalzenes Weißbrot mit selbstgemachtem Olivenöl als Willkommensimbiss. Leider ist die Verständigung aufgrund unserer mangelnden Italienischkenntnisse und dem rudimentären Englisch der beiden oft mühsam – aber wo ein Wille ist, ist immer ein Weg, und mittlerweile gibt es ja viele Übersetzungstools (die Zitate in diesem Artikel sind also nicht original, sondern die optimierte Übersetzung!). „Wir haben heuer vier Katzenbabys“, verkündet Rosy gleich zu Anfang – „sie sind aber noch sehr klein und müssen im Schuppen bleiben.“ Schon ist Amira bei ihnen und wir bekommen sie den Rest des Abends kaum mehr zu Gesicht – weder zum Aufbauen der Zelte noch zum Kochen.
An den ersten Tagen sind wir nur zu viert. Stefan hat am ersten Wochenende noch familiäre Verpflichtungen und kann frühestens am Montag weg. Aufgrund der Schlechtwetterprognosen verschieben sie die Abreise nochmal um einen Tag und kommen erst am Dienstag nach. Allerdings ist das Wetter besser, als die Wetterapp denkt. So klettern wir uns am Sonntag im Sektor Mummie schon mal gechillt warm und erkunden am Montag bei einem Sonne-Wolken-Mix mit ein paar Tropfen die nähere Umgebung inklusive des Sektors Gabbio – einen der großen weißen Flecken unseres letztjährigen Aufenthalts. Auf der Wanderung finden wir auch den ersten gelben Steinpilz der Saison (Mitte April!). Rosy gibt uns noch einen Tipp fürs Abendprogramm: „Polino müsst ihr Euch unbedingt ansehen: ein sehr ursprüngliches Bergdorf, und in der Trattoria della Salute kann man super essen!“ Gesagt, getan. Wir kurven am Nachmittag 500 Höhenmeter hinauf nach Polino, melden uns in der Trattoria zum Abendessen an (Verständigung wieder mit Händen und Füßen) und erkunden anschließend das schmucke Örtchen, das sich eng an den Berghang drängt. Etwas skurril ist eine nagelneue, extrem überdimensionierte Fußgängerbrücke über den Bach am hinteren Ortsende, die so gar nicht zum urigen Charakter des Dorfes passt. Bemerkenswert ist auch das Abendessen. Die Pasta ist hervorragend, aber wir sind die einzigen Gäste. Anscheinend hat die Wirtin die Trattoria aufgrund unserer Anmeldung eigens für uns geöffnet. Zum Abschied gibt sie uns noch ihre Visitenkarte mit und sagt: „Ich kann auch Pizza backen, wenn ihr rechtzeitig vorher anruft.“










Klettern über Ostern
Nachdem wir dann ab Dienstag zu acht sind, bleibt das Wetter erstmal wechselhaft. Zwei überwiegend sonnigen Klettertagen am Sektor Isola und Mummie folgen zwei Tage mit wiederholten Regenschauern. Am ersten Tag steuern wir den Sektor Gabbio an, an dem wir uns regensicheres Klettern erhoffen. Leider sind die Regenschauer mit teils kräftigem Wind verbunden, so dass die moderateren Klettereien dann doch teilweise nass werden. So sind Stefan und ich dann bald alleine und klettern bei brauchbaren, zum Nachmittag hin dann aber teils seifigen Bedingungen noch in einigen der coolen Sinterrouten links und rechts der gigantischen Grotte. Die Linien direkt durch das Grottendach sind allerdings auch dem Stefan zu hart, unter 8a+ gibts hier nichts zu holen. Der Rest der Reisegruppe widmet sich derweil der schmucken Altstadt von Arrone mitsamt Bar und Eisdiele. Diesem Modus schließen wir uns dann am nächsten Tag an und erkunden am Karfreitag das nicht allzu weit entfernte Assisi. Die kirchlichen Prunkbauten der Franziskaner sind auf jeden Fall eindrucksvoll, auch wenn der geistliche Spirit nicht meine Sache ist. Mein persönliches Highlight dieses Ruhetags ist daher eher die Banksy-Ausstellung oben auf der Burg. An diesem verregneten Abend verzichten wir auf das Kochen auf dem Campingplatz und entdecken mit dem Ristorante Grottino del Nera in Arrone ein empfehlenswertes Lokal in der Nähe mit guten umbrischen Gerichten.
Ab Ostersamstag bessert sich das Wetter dann nachhaltig und wir rechnen mit größerem Andrang an den Felsen. Daher wollen wir den etwas abgelegenen Sektor Colleolivio erkunden, der 300 Höhenmeter oberhalb Ferrentillo liegt. Auf schmaler Bergstraße geht’s zum kleinen Parkplatz in dem Bergdörfchen. „Are you looking for the crag?“ fragt uns eine freundliche Italienerin, kaum dass ich die Autotür geöffnet habe. Sie erzählt, dass sie vor ein paar Tagen dort war und dass der Zustieg nicht so einfach zu finden sei. Mit den Insidertipps im Gepäck kommen wir problemlos bis 50 m vor die Wand, die letzte Abzweigung verpassen wir aber trotzdem und müssen uns doch noch kurz durch die Büsche hangeln. Die Wand entspricht nicht ganz unseren Erwartungen. Anhand des Topos hatten wir mit einer größeren Anzahl leichter Routen im Bereich 5c bis 6a gerechnet, die es zwar gibt, aber die teilweise zugewachsen sind, von einem luftigen Band starten oder einen sehr schrägen Routenverlauf über steilem Gelände haben, so dass sie als leichte Nachsteigerroute nicht optimal sind. Nachdem wir aber die einzigen Kletterer am Fels sind, reichen uns die vorhandenen Linien aus, um alle gut zu beschäftigen. Die Kinder und Frauen grasen die leichteren Routen ab, Stefan bastelt sich eine lange, eindrucksvoll steile 7b+ hinauf, und ich hake ab, was in meinem Onsight-Level so machbar ist. Unser Fazit: Wegen der leichteren Routen muss man sich den 20-minütigen Zustieg nicht antun, aber die steilen Linien im 7. Franzosengrad sind super.
Am Ostersonntag müssen also auch die Softmover wieder auf ihre Kosten kommen, und daher steuern wir zuerst den Sektor „Lu Strittu” an – ein Anhängsel des „Balcone” mit den schönsten, leichteren Routen von Ferrentillo. Wir hängen ein paar Topropes ein, dann ziehen Stefan und ich nach links an den Balcone und überlassen unsere Familien mit Fiona als einziger Vorstiegs-Geheimwaffe ihrem Schicksal. Es wird für alle der ergiebigste Klettertag des Urlaubs. Fiona klettert ihre erste 6a onsight und kämpft sich am Nachmittag eine weitere, lange und anspruchsvolle 6a am Balcone hinauf. Die anderen Kinder und unsere Mädels steigen fleißig hinterher, Stefan holt sich zwei sehr steile 7b+ bzw. 7b am Balkone und ich onsighte eine Handvoll Routen von 6a bis 6c und checke eine 7a aus, für die mir aber dann im Durchstieg letztendlich der Strom ausgeht. Dazwischen dürfen die Kids noch am Seil von Stefans 7b+ schaukeln. Wir können es kaum glauben, dass wir den riesigen Sektor mit ungefähr 100 Routen den ganzen Ostersonntag fast für uns alleine haben – insgesamt sehen wir über den Tag verteilt nur vier andere Seilschaften. Als Belohnung für die fleißigen Kletterkinder wartet dann am Campingplatz eine sensationelle Ostereier-Suche von Roberto und Rosy. Wie der Rattenfänger von Hameln dirigiert Roberto die Schar von etwa 20 Kindern in die Richtung seiner „Verstecke“ – wobei die riesigen Schoko-Überraschungseier im rosa und hellblauen Glitzerpapier meist schon von weitem sichtbar sind.




Abwechslung zum Ausklang
Danach lassen wir es wieder etwas ruhiger angehen. Am Montag statten wir dem kleinen Gebiet Cesi bei Terni einen Kurzbesuch ab, wo die Motivierten ein paar leichtere Routen klettern. Die Rehms fahren noch ein paar Minuten weiter zur Ausgrabungsstätte Carsulae, worauf unsere Mädels keine Lust haben, so dass wir es bei Eisdiele und Bar belassen. Die Erkundungsfahrt am Dienstag ins Klettergebiet Grotti bringt uns zu der Erkenntnis, dass der Hauptsektor ein klassischer Winterspot ist und es zum Klettern bei +22 Grad und Sonnenschein hier zu heiß ist. Als dann aber gegen 15 Uhr langsam der Schatten hereinzieht, macht es plötzlich doch viel Spaß in dem löchrigen, oft von einer Sinterschicht überzogenen Konglomerat. Für den Mittwoch ist nochmal Kletter-Wunschprogramm angesagt. Fiona möchte unbedingt nochmal auf den Balcone, die anderen Kinder wollen leichtere Routen unten am Sektor „Isole” klettern. Nachdem Stefan noch etwas kränkelt, gehe ich mit Fiona zu zweit rauf und wir klettern einige tolle, leichtere Routen im Bereich 5c bis 6a+. Später kommt Stefan dann doch nach. Anscheinend steht’s noch nicht so schlimm um ihn, denn er sichert sich im 3. Versuch die Route „Solo fly” (7c) als Urlaubs-Highlight. Auch bei mir ist die am Ostersonntag bereits ausgeboulderte 7a fällig. Beim ersten Versuch mit Hochhängen der Expressen ist zwar wieder am letzten Haken Schluss, aber danach geht der Durchstieg dann doch halbwegs souverän.
Für den Donnerstag ist die Luft dann raus – während die Rehms am Vormittag noch kurz zum Sektor Isole gehen, machen wir einen gemütlichen Abschlusstag ohne Klettern. Wir buchen eine Führung in Narni, südwestlich von Terni. Dort wurden in der an sich schon sehenswerten Altstadt vor einigen Jahrzehnten über einen versteckten Zugang alte Kirchenräume inklusive des Inquisitionsfolterraums und des Verlieses entdeckt. Es handelt sich um ein bedrückendes Zeugnis der grausamen Auswüchse religiösen Fanatismus. Dieser wird ja hierzulande gerne dem Islam zugeschoben, während die mindestens genauso dunklen Kapitel in der Geschichte des Christentums verschwiegen werden. Nach der Führung geraten wir in die Eröffnung des Stadtfestes von Narni, wo der Herold in mittelalterlicher Manier von der Kanzel den Beginn der Festtage verkündet. Für unser letztes gemeinsames Abendessen haben wir Pizza in der Trattoria del Salute geordert. Die Wirtin serviert uns nach einer bereits sehr üppigen Anti-Pasti-Platte eine „Pizza-Rallye“, wie sie es nennt. Je vier Personen bekommen immer eine ganze Pizza, die bereits geviertelt ist, und das ganze viermal hintereinander in den Varianten „Tartufo”, „Margherita”, „Funghi” und „Patate-Salsiccia”. Die Pizzen sind hervorragend, aber es ist einfach zu viel, so dass wir ein paar Viertel in die vorsorglich bereitgestellten Pizzakartons packen. Zum Abschluss gibts dann noch eine üppige „Nutella-Pizza” als Dessert, von der wir ¾ einpacken. Damit haben wir die perfekte Verpflegung für den nächsten Tag und die leider unvermeidliche, wieder sehr lange Heimfahrt.