Zwischen Fels und Flöte

Sean Villanueva O’Driscoll spielt auf seiner Tin Wistle im Portaledge, Foto: Drew Smith (via Patagonia)
Sean Villanueva O’Driscoll spielt auf seiner Tin Wistle im Portaledge, Foto: Drew Smith (via Patagonia)

Sean Villanueva O’Driscoll, der Kletterer, der auf den Gipfeln musiziert


Während andere am Berg um Minuten kämpfen, spielt er auf dem Gipfel entspannt Flöte: Sean Villanueva O‘Driscoll. Der belgische Alpinist (geb. 1981) mit den irisch-spanischen Wurzeln erzählt, wie es dazu kam, dass er auf seinen Expeditionen Flöte spielt, singt und meditiert – allein oder im Team. Ein Gespräch über das Musizieren im Portaledge, die mentale Wirkung von Musik – und warum eine fünf Euro teure Tin Whistle zu seiner Kletterausrüstung gehört.

Interview: Claus Lochbihler

Stimmt es, dass du 2021 auf deiner legendären Moonwalk Traverse am Fitzroy Massiv in Patagonien jeden Gipfel und jedes Biwak mit dem Spiel auf der Tin Whistle gefeiert hast?

Ja, so war das. Mir war es nicht wichtig, besonders schnell unterwegs zu sein. Also nahm ich mir die Zeit, auf der Flöte zu spielen. Und jeden Morgen vor dem Aufbrechen 15 Minuten zu meditieren. Mit am schönsten war das Musizieren auf der Aguja Saint Exupery. Da haben die benachbarten Felswände ein wunderbares Echo erzeugt. Als ich beim Abseilen auf eine andere Seilschaft gestoßen bin, waren die ganz verwundert, mich plötzlich zu sehen. Weil sie ja kurz davor noch meine Flötentöne am Gipfel gehört hatten. Sie fragten augenzwinkernd, ob ich mich denn beliebig schnell durch Raum und Zeit zaubern könne mit meiner „Magic Flute“.

Was spielst du, wenn du auf dem Gipfel oder im Zelt bist?

Manchmal Songs aus dem Irischen Folk, weil ich damit über meine Mutter, die aus dem irischen Cork stammt, groß geworden bin. Manchmal improvisiere ich einfach, was mir so spontan einfällt.

Singst du manchmal auch?

Klar. An meinem Geburtstag habe ich auf der „Moonwalk Traverse“ Happy Birthday gesungen – ganz allein und nur für mich. Und am Gipfel des Fitzroy habe ich eine ganze Stunde verbracht und dabei ein irisches Lied über einen verrückten, wild gewordenen Ziegenbock gesungen: „An Poc Ar Buile“. Da oben fühlte sich alles so crazy an, dass das irgendwie passte und rausmusste. Wenn mich jemand gesehen hätte, wie ich singe und dazu tanze, hätte er mich für den verrückten Ziegenbock gehalten.

Was hat das Musizieren für einen Effekt auf dich? Wenn du nicht gerade vom wildgewordenen Ziegenbock singst….

Ich habe das Gefühl, dass mich das Spiel auf der Tin Whistle, aber auch das Singen, erdet und psychisch wieder runterholt. Es ist sehr entspannend und bringt mich in den jeweiligen Moment zurück. Während eines langen Tages am Fels durchlebt man auch Stress und Ungewissheit - man weiß nicht, wie schwer einem die nächste Seillänge fällt und wie der nächste Abseiler sein wird.

Beim Musizieren erholt man sich von all dem?

Ich würde sagen, dass mich das Spiel auf der Flöte mental irgendwie leichter macht – erst recht, wenn das Klettern schwer ist. Es gibt mir Kraft zurück. Gleichzeitig ist es einfach etwas Schönes, wenn man sich, die Landschaft und die Gefühle, die davon ausgelöst werden, musikalisch ausdrückt. Es ist immer schön, kreativ zu sein. Egal wie.

Wie fing das an bei dir mit dem Musizieren beim Klettern? 

Das hat vor allem mit meinem langjährigen Kletterpartner Nico Favresse zu tun. Der hat schon immer Musik gemacht – bereits damals, als wir uns als Jugendliche in der Kletterhalle in Brüssel kennengelernt haben. Bald darauf sind wir in den Ferien nach Frankreich zum Sportklettern getrampt – und Nico hatte immer seine Gitarre oder seine Ukulele dabei. Ich sang damals nur, weil ich das schon immer von meinen vielen Verwandten in Irland her kenne: Da ist irgendwie jeder ein Sänger, einer stimmt ein Lied an und alle anderen steigen ein. Also habe ich oft Lieder wie „Drunken Sailor“ oder „Whiskey in the Jar“ gesungen und Nico hat mich dabei begleitet. Aber irgendwann wollte ich nicht ‚nur‘ singen, sondern auch ein Instrument spielen können. Und da war die Tin Whistle einfach das naheliegendste Instrument, weil es in der irischen Musik eine große Rolle spielt und außerdem so leicht ist, als ob es speziell für einen Kletterer wie mich erfunden worden wäre.

Hattest du Unterricht?

Nie. Man kann sich das Spiel auf der Tin Whistle ganz gut selber beibringen. Allerdings habe ich die ersten Jahre nicht besonders gut gespielt. Nico war aber immer sehr ermutigend und motivierend: er hat immer so getan, als ob ich gut spielen würde. Erst Jahre später hat er mir gestanden, dass ich am Anfang ganz fürchterlich geklungen habe. Aber seine Geduld war eben auch ein Investment in unser gemeinsames Musizieren – am Fels oder im Basecamp. Und mittlerweile spiele ich ziemlich okay.

Vorhin hast du beschrieben, was das Muszieren mit Dir anstellst – vor allem wenn du solo unterwegs bist. Welchen Effekt hat es innerhalb einer Seilschaft, die im Portaledge oder im Basecamp musiziert? 

Es ist eine Form des Miteinanderkommunizierens – ohne Worte, aber nicht weniger effektiv. Es fördert den Team Spirit, wenn man gemeinsam Musik macht. Angefangen haben wir damit ursprünglich nur, um uns im Portaledge bei schlechtem Wetter die Zeit ein wenig zu vertreiben. Erst später haben wir gemerkt, dass es viel mehr als nur ein Zeitvertreib ist. Es verbindet einen. Es macht gute Laune, selbst wenn die Bedingungen beschissen sind. Dieses Bonding über die Musik funktioniert auch mit einheimischen Trägern und Helfern, mit denen man sich manchmal nicht einmal auf Englisch unterhalten kann – egal ob in Pakistan oder im südamerikanischen Dschungel. Da merkt man dann, dass allein das Musizieren und das Tanzen die Sprache ist, die alle verbindet. Überall auf der Welt.

Welchen Platz hat die Tin Whistle in deinem Kletterrucksack? 

Sie muss möglichst gut erreichbar sein. Also liegt sie dort, wo ich auch mein Essen und das Messer im Rucksack aufbewahre. Und all die anderen kleinen Dinge, an die man im Lauf eines Klettertages gut rankommen muss.

Wie viele Instrumente hast du schon verbraucht, seitdem du Tin Whistle spielst?

Einige. Manchmal gehen sie kaputt oder verloren, wenn wir unserer Rucksäcke und unsere Haulbags über den Fels nach oben ziehen. Aber von den meisten trenne ich mich ganz freiwillig, weil ich sie gern verschenke, wenn sich jemand dafür interessiert. Sie kosten ja nicht viel - nur fünf oder sechs Euro. Am El Cap ist es einmal passiert, dass mir die Flöte heruntergefallen ist. Aber selbst da habe ich sie zurückbekommen. Jemand hatte sie am Wandfuß gefunden. Als wir nach der Tour zurückkamen, lag sie in meinem Zelt. Eine schöne Überraschung.

Mittlerweile spielst du neben der Tin Whistle auch andere Instrumente.

Ich habe oft eine Mundharmonika dabei. Und vor ein paar Jahren habe ich mir Uilleann Pipes, also einen irischen Dudelsack besorgt. Aber der ist viel weniger expeditionstauglich als eine Tin Whistle. Vor allem das Mundstück mit dem Doppelrohrblatt ist sehr wetter- und höhenempfindlich. Einmal hatte ich den Dudelsack im indischen Himalaya im Shivling-Basecamp dabei – und das Mundstück hat dort wegen der großen Höhe einfach nicht funktioniert. Mit der Tin Whistle passiert einem das nicht: die funktioniert immer und überall.